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Welm Hülskötter on sin Prossionsleed

Welm Hülskötter on sin Prossionsleed

Wilhelm Hülskötter und sein Prozessionslied


Aus Werden stammt diese Geschichte von der Marienprozession von Werden durch das Niederbergische bis nach Neviges

Im Jahre 1987 ist sie als Beitrag des Werdener Pädagogen und Mundartdichters Hubert Göbels in den Werdener Nachrichten erschienen.

In neuerer Zeit wurde sie als Beispiel für Waddisch Platt von dem Mülheimer Autor Franz Firla in sein Buch „RuSaKeWe“ aufgenommen. „RuSaKeWe“ ist im Jahre 2008 erschienen und befasst sich mit den Mundarten des unteren Ruhrtals zwischen Ruhrort und Werden. Der Name des Buches leitet sich aus den Ortschaften Ruhrort, Saarn, Kettwig und Werden ab und präsentiert neben mundartlichen Texten auch Hintergrundwissen und ein kleines Platt-Wörterbuch. An dieser Stelle möchte ich Herrn Firla für die freundliche Unterstützung dieser Seite herzlich danken.

In seinem Begleittext zur Geschichte schreibt Franz Firla über den Autor: „Hubert Göbels war Lehrer, Schulrat und schließlich Dozent an der Pädagogischen Akademie Essen an, wo er 1958 eine Professur für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik erhielt. Von 1961 bis 1963 war er Rektor der Pädagogischen Hochschule Essen und bis 1973 Professor an der Gesamthochschule Essen. Einen besonderen Ruf erlangte er als Jugendbuchhistoriker. Über seine Kindheitserlebnisse während des ersten Weltkrieg schrieb er eine bewegendes Buch. Im Ruhestand widmete er sich mit Hingabe dem Waddisch Platt, das er in seiner Jugend von den Großeltern gelernt hatte. Er übersetzte ganze Bücher in seine „Muttersprache“ wie Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ und „Die kleine Hexe“ von Ottfried Preußler. In den 80ern des letzten Jahrhunderts schrieb er regelmäßige Beiträge in den Werdener Nachrichten.“

Damit Sie diese Fabel bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.

Welm Hülskötter on sin Prossionsleed

Wenn Kaßbeerentied es, dann treckt die Prossion noa Näves. Dat es vandaag so on wor fröher net aunersch. Sonndagsmorges Pilgermesse met Pilgersägen, on dann geng et loß! Pilger goav et genog: Wiever on Käls, Wechter on Jonges – on Meßdeener en ganzen Tropp. Die woßten am besten, dat Prossionstied ouk Kaßbeerentied es.Wenn Stachelbeerzeit ist, dann zieht die Prozession nach Neviges. Das ist heute so und war früher nicht anders. Sonntag morgens Pilgermesse mit Pilgersegen, und dann ging es los! Pilger gab es genug: Frauen und Männer, Mädchen und Jungen – und ein ganzer Trupp Messdiener. Die wussten am besten, das Prozessionszeit auch Stachelbeerzeit ist.
Da Pilgerwäg noa Näves wor on es kin Spazeergang, fröher schon gar net. Van’e Ludgeruskerk en Wadden geng et ömmer bergaan: Rop noa’m „Schwatten“, widder över dän Huckel am „Kamillushuus“, on bold koun man „Musikalische Stadtgrenze“ läsen. Schon woren die Knök te spören on die Fööt. Doch – Bäen on Sengen on Widdertrecken, an „Lantermann“ on am „Plätzken“ vörbie.Der Pilgerweg nach Neviges war und ist kein Spaziergang, früher schon gar nicht. Von der Ludgeruskirche in Werden ging es immer bergauf: Rauf zum Schwarzen, wieder über den Huckel am Kamillushaus, und bald konnte man „Musikalische Stadtgrenze“ lesen. Schon waren die Knochen zu spüren und die Füße. Doch – Beten und Singen und Weiterziehen, an Lantermann und am Plätzchen vorbei.
Loag dat Bergische Lannd em Sonnenschien, dann wor die Prossion – on dat es net överdreeven – en regelrechten Bußgang. Wie bequem hadden et doch die „elektrischen Pilger“! On die grinsden on wenkden ouk noch, wenn se met de Bergische Kurz-on-Klein-Bahn vörbie-ratterden. Ja, so wat goav et fröher, eingleisig: Wadden – Elberfeld on toröck!Lag das Bergische Land im Sonnenschein, dann war die Prozession – und das ist nicht übertrieben – ein regelrechter Bußgang. Wie bequem hatten es doch die „elektrischen Pilger“! Und die grinsten und winkten auch noch, wenn sie mit der Bergischen Kurz-und-Kleinbahn vorbeiratterten. Ja, so etwas gab es früher, eingleisig: Werden – Elberfeld und zurück!
Dä halve Wäg wor gepackt, wenn die Prossion dörch Velbert trock. Äver ömmer noch — Bäen on Sengen on Widdertrecken! On meddendren en’e Prossion, mol he on mol doa, dä Brudermeister! Lange Tied drog Welm Hülskötter, en Käl wie en Boum, dän Brudermeisterstab. Dat wor en Prängel, grötter als Welm Hülskötter met e-in Meter on fiefonachtzig! – Oaven am Brudermeisterstab blenkden op en Selverblatt vören dä hellige Ludgerus on hengen die Modergoddes van Näves. Met sin Baßstemm on met däm Prängel heel Welm Hülskötter die Prossion en Ordnung: „…on nu die Wiever! – Die Käls nu! – Donner-wäers-Blagen, Schluß met önke Schwätzere-i! Wi sind he op’m Wäg noa Näves on net op’m Scholhoff! – Geegrüßet seist du, Maria!“ — Brudermeister Welm Hülskötter wor Vörsenger on Vörbäer. Als Ordner on Brudermeister geng he em langen Prossionszog mol he on dann wär woaunersch. On dobie passeerde mol en Stöcksken, dat man vertellen mot:Der halbe Weg war geschafft, wenn die Prozession durch Velbert zog. Aber immer noch – Beten und Singen und Weiterziehen! Und mittendrin in der Prozession, mal hie und mal da, der Brudermeister! Lange Zeit trug Wilhelm Hülskötter, ein Kerl wie ein Baum, den Brudermeisterstab. Das war ein großes Ding, größer als Wilhelm Hülskötter mit einem Meter und fünfundachtzig! – Oben am Brudermeisterstab zeigte sich auf einem Silberblatt vorne der heilige Ludgerus und hinten die Mutter Gottes von Neviges. Mit seiner Bassstimme und mit dem Knüppel hielt Wilhelm Hülskötter die Prozession in Ordnung. „…und nun die Frauen! – Die Männer jetzt! – Donnerwetter, Kinder, Schluß mit euren Geschwätz! Wir sind hier auf dem Weg nach Neviges und nicht auf dem Schulhof! – Gegrüßet seist du, Maria! – Brudermeister Wilhelm Hülskötter war Vorsänger und Vorbete. Als Ordner und Brudermeister ging er im langen Prozessionszug mal hier und dann wieder woanders. Und dabei passierte mal ein Stück, das man erzählen muss:
Allermol, wenn die Prossion no Näves en Tönishe-id op däm Huckel angekommen wor, wenn man van oaven noa Näves rounerkieken koun, dann stemmden die Pilger dat erschte Marienleed aan: „Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn!“ “ Welm Hülskötter freuden sich jedes Johr nöi, wenn et sowiet wor. Stramm reckden hä sich, on sin Prossionsprängel goav dat Signal: Sengen on Widdertrecken! Näves wor bold erreicht. Dat koun man am Marienleed hören: „… in Liebe und Freude, o himmlische Zier!“ — On schon song Wilm Hülskötter, dä Brudermeister, die twedde Strophe aan; grad geng hä näven däm Mütterverein her, vörenwäg die Vörsetterin. Sie wor Welm dösen Morgen noch net to Gesecht gekommen; dat es an all däm Gedöhns net te verwounern. Immer, wenn die Prozession nach Neviges in Tönisheide auf dem Hügel angekommen war, wenn man von oben auf Neviges runterschauen konnte, dann stimmten die Pilger das erste Marienlied an: „Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn!“ Wilhelm Hülskötter freute sich jedes Jahr auf‘s Neue, wenn es soweit war. Stramm richtete er sich auf und sein Prozessionsstab gab das Signal: Singen und Weiterziehen! Neviges war bald erreicht. Das konnte man am Marienlied hören: „… in Liebe und Freude, o himmlische Zier!“ – Und schon sang Wilhelm Hülskötter, der Brudermeister, die zweite Strophe an; gerade ging er neben dem Mütterverein her, vorneweg die Vorsitzerin. Sie war Wilhelm dieses Morgens noch nicht zu Gesicht gekommen; das ist bei all dem Durcheinander nicht verwunderlich.
On schon woren die Pilger wie ouk Welm Hülskötter meddendren en’e twedde Strophe: „… Nimm auf meine Liebe, so wie ich vertrau!“ On dann dreiden dä Brudermeister em Sengen sinen Kopp hen noa’m Mütterverein, böigden sich lecht vör on song, voll Andacht on ganz en Gedanken: „Denn du bist ja, – godden Morgen Frau Schürmann! – dein Kind will ich sein“, onsowidder. Welm selvs hat net gemerkt, wat hä sich för’n Stöcksken geleistet, Frau Schürmann ouk net; äver Lies ut Schuir, die koam henger Frau Schürmann hergestuffelt.Und schon waren die Pilger wie auch Wilhelm Hülskötter mittendrin in der zweiten Strophe: „… Nimm auf meine Liebe, so wie ich vertrau!“ Und dann drehte der Brudermeister beim Singen seinen Kopf hin zum Mütterverein, beugte sich leicht vor und sang, voller Andacht und ganz in Gedanken: „Denn du bist ja, – guten Morgen, Frau Schürmann! – dein Kind will ich sein,“ und so weiter. Wilhelm selbst hat nicht gemerkt, was er sich für ein Stück geleistet hat, Frau Schürmann auch nicht; aber Liese aus Schuir, die kam hinter Frau Schürmann hergeschlurft.
Lisa, dat wor so’n richtig waddisch Quaterdöppen. On Lies hät die twedde Strophe hengenher, ounen en Näves, em dredden Huus van’e Kaffee-waterstroat, nochmol vörgesongen, so – wie Welm Hülskötter, dä Bruder-meister, se onscheneert en Tönishe-id rutposaunt hät. Dat et em Leed rechtig sengt: „Denn du bist ja die Mutter, dein Kind will ich sein!“, dat woßten die Kaffeetanten vam Mütterverein bim Kaffeedrenken en Näves sowieso.Liese, das war so eine richtige Werdener Quasselstrippe. Und Liese hat die zweite Strope hinterher, unten in Neviges, im dritten Haus von der Kaffeewasserstraße, nochmal vorgesungen, so – wie Wilhelm Hülskötter, der Brudermeister, sie ungeniert in Tönisheide herausposaunt hat. Das es in dem Lied richtig heißt: „Denn du bist ja die Mutter, dein Kind will ich sein!“, das wussten die Kaffeetanten vom Mütterverein beim Kaffeetrinken in Neviges sowieso.
Schad! – en Brudermeister gövt et vandaag net mähr. On die Kaffeewaterstroat es längst afgereeten. So kann ouk kin Mensch mähr die Zettel an’e Huusdören en de Kaffeewaterstroat läsen. Doa stoun geschreeven: „Der alte Brauch wird nicht gebrochen, Hier können die Pilger Kaffee kochen!“Schade! – einen Brudermeister gibt es heute nicht mehr. Und die Kaffeewasserstraße ist längt abgerissen. So kann auch kein Mensch mehr die Zettel an den Haustüren in der Kaffeewasserstraße lesen. Dort stand geschrieben: „Der alte Brauch wird nicht gebrochen, Hier können die Pilger Kaffee kochen!“

aus: „RuSaKeWe, Alte und neue Texte in den Mundarten der unteren Ruhr bei Ruhrort, Saarn, Kettwig und Werden“ von Franz Firla, erschienen 2008 in der Buchhandlung Hilberath & Lange zu Mülheim an der Ruhr, Seite 121 bis 122, erstmals veröffentlicht in den Werdener Nachrichten vom 07.08.1987, erschienen im Verlag von Wilhelm Wimmer zu Essen-Werden

Originaltext in Werdener Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Marc Real

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