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K.T.V. 1870

K.T.V. 1870

Kettwiger Turnverein 1870


Aus Kettwig stammt diese Geschichte über den Kettwiger Turnverein die sich nach der Jahrhundertwende um 1900 zugetragen hat. Im Mittelpunkt steht die Stadthalle „Zum Luftigen“, heute Am Bögelsknappen 1, die über lange Jahre Treffpunkt der Kettwiger Turner war. Nach vielen abwechslungsreichen Nutzungen wurde das Gebäude nach dem Tode seines letzten Bewohners, dem Architekten Prof. Werner Ruhnau, im Jahre 2019 veräußert und soll nach 114 Jahren nunmehr abgebrochen werden.

Ein „alter Turner“ berichtet in dieser Geschichte vom Vereinsleben des Kettwiger Turnvereins von 1870 mit all seinen Facetten. Nach zwei Weltkriegen und einschneidenden gesellschaftlichen Umwälzungen hat der Verein noch heute Bestand und fusionierte 2014 mit dem langjährigen Lokalrivalen TV Kettwig v. d. Brücke 1886 zum neuen Kettwiger Sportverein 70/86, der nunmehr Kettwig beiderseits der Ruhr abdeckt.

Die folgende Geschichte ist zu Weihnachten 1944 in der Kettwiger Soldatenzeitung „Nau“ erschienen. Mit dem Untertitel „Gruß Kettwigs an seine Soldaten“ wurde sie von der NS-Kreisleitung Niederberg herausgegeben. Durch Alltagsgeschichten aus Kettwig sollte sie den Durchhaltewillen der Soldaten in einem aussichtsloser werdenden Vernichtungskrieg aufrechterhalten, indem sie die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nährte. Es sind zwischen April 1943 und Weihnachten 1944 insgesamt acht Ausgaben erschienen.

Dieser Artikel wurde von Heinz-Herbert Münker, Schatzmeister des Kettwiger Museums- und Geschichtsfreunde e. V. digitalisiert und ins Hochdeutsche übertragen. Ich bedanke mich herzlich für die freundliche Zusammenarbeit und dafür, dass der Text an dieser Stelle erscheinen kann.

Damit Sie diese Geschichte bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.

K.T.V. 1870

Van Dag well eck eß vam Tornverein, K.T.V. 1870, vertellen. Früher hatt he jo wahl noch ne sone feine Namen, et woar einfach use Tornverein on allemolen woaren dobi. Domols woaren wie noch Genossen. — Genossen, schwingt ihr den Becher wie sonst? — Wie sonst! — Awer te iasch on vöar allem woad getornt, on völl getornt.Heute will ich euch etwas vom Turnverein, K.T.V. 1870, erzählen. Früher hatte er ja wohl noch nicht so einen feinen Namen, es war einfach unser Turnverein und jedermann war dabei. Damals waren wir noch Genossen. – Genossen, hebt ihr das Glas wie früher? – Wie früher! – Aber zuerst und vor allem wurde geturnt, und viel geturnt.
Op de Hippestrot fongen sich noch jeden Omend ennige en on tornten do extra allerlei.Auf der Hippestrot (Kringsgat) fanden sich noch jeden Abend einige ein und turnten da extra allerlei.
Tornomend woar Denstags. Do geng et nom Loftigen, nom groate Saal. Koam man do heren, hat man vöar sich de lange Saal, lenks on rechts en Optrett, lenks woar de Thek on rechts en de Eck on ene Garderobe stongen de Geräte, hengen em Saal geng man vier Stufen herop, do woar noch riklich Platz föar Musik, föar de Vorstand on föar en Bühne. Bim Tornen stong hie bowen om Desch Pups N. on tornten die Freiübungen vöar, die gengen emmer vöarob.Turnabend war dienstags. Da ging es zum Luftigen (Am Bögelsknappen 1), in den großen Saal. Kam man dort herein, hat man vor sich den langen Saal, links und rechts einen Abtritt, links war die Theke und rechts in der Ecke und in der Garderobe standen die Geräte, hinten im Saal ging man vier Stufen hinauf, da war noch reichlich Platz für die Musiker, für den Vorstand und für die Bühne. Beim Turnen stand Pups N. hier oben auf dem Tisch und turnte die Freiübungen vor, die gingen immer vorneweg.
Also Denstags woar tornen. Bim Antreten noahm die Reih boll die ganze Längde vam Saal en. Dann „abzählen“ von wegen die Statistik on dann Opmarsch. Em Umzug „zu zweien links nebenreihen“, dann zu viert, dann zu acht on dann woad fächerförmig uterein marschiert on dann geng et los, ohne oder met Stäben, met iseren oder häultenen. Hat dat son Vialstond geduurt, Abmarsch on riegenweise antreten tum Gerätetornen. Die Geräte moßten herangeschleppt wiaden, dat isere Reck woad opgebaut, dicke Matratzen herangehollt, Bock, Piad, Barren on Sprongständer opgestellt. Dat geng alles fix on dann woad getornt on soa no twentig Minüten „Gerätewechsel“. Domet dat alles rechtig heröm geng on soa all de Reih noh dran koamen, hat sich Tornwart Huber en Uhr gemakt, wo ob ein Schiev de Geräte stongen. Dodrob let sich en twedde Schiev dreien, worob die Riegen stongen. Soa bruckten he bloß en betschen te dreien on he woß genau, wat van Rieg an dem oder jenem Gerät dran woar.Also Dienstags war turnen, Beim Antreten nahm die Reihe bald die ganze Länge des Saals ein. Dann wurde „abgezählt“ für die Statistik und dann Abmarsch. Im Umzug „zu zweit links nebeneinander, dann zu viert, dann zu acht und dann wurde fächerförmig reihum marschiert und dann ging es los, ohne oder mit Stäben, mit eisernen oder hölzernen. Das hat eine Viertelstunde gedauert, Ab­marsch und riegenweise antreten zum Geräteturnen. Die Geräte mussten herangeschleppt werden, das eiserne Reck wurde aufgebaut, dicke Matratzen herangeholt, Bock, Pferd, Barren und Sprungständer aufgestellt. Das ging alles fix und dann wurde geturnt und so nach zwanzig Minuten „Gerätewechsel“. Damit das alles richtig herum ging und so alle der Reihe nach dran kamen, hat sich Turnwart Huber eine Uhr gemacht, wo auf einer Scheibe die Geräte standen. Darauf ließ sich eine zweite Scheibe drehen, worauf die Riegen standen. So brauchte er bloß ein wenig drehen und er wusste genau, welche Riege an diesem oder jenem Gerät zugange war.
Woar dat Tornen vöaröwer, woad auk noch Spaß gemakt. Schlüffke rien goav voll Freud, awer auk Leder woaden engeübt. Scharrenberg koam herop, Tornerlederböker woaren angeschaff on dann moßte wie liaren. Auk waul de Tornwart noch wat föar de geistige Bildung dohn, man saul Vöardräg haulen. Dat klappten awer ne, de Frosch meinden, soawat lächerlich maken te mötten.War das Turnen vorüber, wurde auch noch Spaß gemacht. In die Pantoffeln machte viel Spaß, aber auch Lieder wurden eingeübt. Scharrenberg kam herauf, Turnliederbücher wurden ange­schafft und dann mussten wir lernen. Auch wollte der Turnwart noch was für die geistige Bildung tun, man sollte Vorträge halten. Das klappte aber nicht, der Frosch meinten, sowas lächerlich machen zu müssen.
Awer emmerhen, et woad döchtig gearbet on em Sommer, meis em Juli, woar dann groat Tornfeß. Samstagohmend Zapfenstreich, Sonndagmeddag Festzog dörch de Stadt. Alle Torner fein en Wichs, de iseren Stäbe met Blömkes geschmückt, Tambourkorps met Tambour-Major Alfredi — ganz große Klasse — vöarob, dann de Schüttesche Kapelle, geng et vam Loftigen heronger, dörch Haupt- on Ruhrstrot on wärr nom Loftigen terück, wo de ganze Gaden all voll Menschen soat, die sich dat Schautornen kritisch ankieken waulen. Loskamp hat föar godden Koffen met selwsgebackenem Stuten, met on ohne Korenten, on Spekelats gesorg, soa kaunen die Torner märr kommen.Aber immerhin, es wurde tüchtig gearbeitet und im Sommer, meistens im Juli, war dann großes Turnfest. Samstag­abend Zapfenstreich, Sonntagmittag Festzug durch die Stadt. Alle Turner fein im Dress, die eisernen Stäbe mit Blumen geschmückt, Tambourkorps mit Tambour-Major Alfredi – ganz große Klasse – vorneweg, dann die Schüttesche Kapelle, ging es vom Luftigen herunter, durch Haupt- und Ruhrstraße und wieder zum Luftigen zurück, wo der ganze Garten voller Menschen saß, die sich das Schauturnen genau ansehen wollten. Loskamp (Wirt) hat für guten Kaffee mit selbstgebackenem Stuten, mit und ohne Korinthen, und Spekulatius gesorgt, so konnten die Turner endlich kommen.
Die koamen, te iasch auk Freiübungen, mols treet auk en Keulenriege ob, dann Gerätetornen on teletz Kürturnen am Reck. Dobie goaw et Rieseschwöng on Riesefelgen, Schwongstemm, Doade­schwöng on soa wat on dat Publikum hat sin rechte Freud on klatschten lebhaft Beifall.Die kamen, zuerst auch Freiübungen, mal trat auch eine Keulenriege auf, dann Geräteturnen und zuletzt Kürturnen am Reck. Dabei gab es Riesenschwung und Riesenfelgen, Schwungstemmen, Todes­schwung und so was und das Publikum hatte seine rechte Freude und klatschte lebhaft Beifall.
Ohmes goaw et noch en flotten Ball met Polonaise dörch de Gaden on lang noch hat man Freud van dem schöanen Tornfeß.Abends gab es noch einen flotten Ball mit Polonaise durch den Garten und lange noch hatte man Freude an dem schönen Turnfest.
Freuen saul man sich jo, et kaun awer auk eß angersch kommen. Soa passierden et eimol: A ob Urlaub van de Seebattalönersch — bim Tornfeß woaren emmer an paar Soldaten ob Urlaub, wat de Verein beandragt hadden —, mackten nohmeddags bim Kürtornen en Rieseschwöng, wobie, grad als he em Hoachstand stong, die Reckstang dörchbrok. Dat soag gefährlich ut on manch einem stong föar en Moment dat Herz stell. Awer A hat sonne Schwang, he koam met beds de Bein op de lad, en jeder Hank en halwe Reckstang. Öm woar nix passiert on dat goaw nu noch en extra Jubel, wat ohmes om Ball noch besongersch gefiert wiaden moß. Freuen soll man sich ja, es kann aber auch anders kommen. So passierte es einmal: A. auf Urlaub von den Seebattalionern – beim Turnfest waren immer ein paar Soldaten auf Urlaub, was der Verein beantragt hatte -, machte nachmittags beim Kürturnen einen Riesenschwung, wobei, gerade als er im Hochstand stand, die Reckstange durch­brach. Das sah gefährlich aus und manch einem stand für einen Moment das Herz still. Aber A. hatte solchen Schwung, er kam mit beiden Beinen auf den Boden, in jeder Hand eine halbe Reckstange. Ihm war nichts passiert und es gab nun noch einen extra Jubel, was abends auf dem Ball noch besonders gefeiert werden musste.
Hiebie hadden sich awer auk en paar Schandarmen engefongen on dat soagen Torners ne gian. Et goaw en betschen Frasselei, de Plüm woad meddels auk warm on do bot schließlich die heilige Hermandad Fieromend! — Fieromend? — Et woar doch geschlossene Gesellschaf! — Dat goaw Radau, on de woad op de Strot noch schlemmer. Zwar gewt et eigentlich keine groaten Spektakel, wenn en Torner sin Weit no Huus brengt, doch wie dat soa eß, et goaw Radau. Die jonges kaunen awer beter laupen wie die Schandarmen. Sie koamen glöcklich ter Huus ahn on kropen gau en öahr Klapp. Morges em 6 Uhr awer woaden ennige ut de Bedder gehallt on en de Pittermann gebrach. Et goaw noch en Gerechsverhandlung, die awer met Freispruch aflep. Önke Vader, vertellden Kaal mie mols, betügden, datt die Schandarmen miahr Krach gemackt hadden als die Torner. On weil de eine Schandarm Pingler hedden, soa kreg dat ganze Gedöns de Namen Pingelei. En Led eß noch dodrop gemackt on döckes gesongen woaden. Viellech het de einen oder angeren dat noch. Schandarm Pingler koam awer boll van hie fott.Hierbei hatten sich aber auch ein paar Gendarmen eingefunden und das sahen Turner nicht gern. Es gab ein bisschen Diskussionen, der Bauch wurde inzwi­schen auch warm und da gebot schließlich die heilige Gendarmerie Feierabend! – Feierabend? – Es war doch geschlossene Gesellschaft! – Das gab Radau, und der wurde auf der Straße noch schlimmer. Zwar gibt es eigentlich kein großes Spektakel, wenn ein Turner seine Frau nach Hause bringt, doch wie das so ist, es gab Radau. Die Jungen können aber besser laufen als die Gendarmen. Sie kamen glücklich zu Hause an und krochen gleich in ihr Bett. Morgens um 6 Uhr aber wurden einige aus den Betten geholt und in die Arrestzelle gebracht. Es gab noch eine Gerichtsverhandlung, die aber mit Freispruch endete. Mein Vater, erzählte Karl mir damals, bezeugte, dass die Gendarmen mehr Krach gemacht hätten als die Turner. Und weil ein Gendarm Pingler hieß, bekam die ganze Angelegenheit den Namen Pingelei. Ein Lied ist noch daraufhin gemacht worden und oft gesungen worden. Vielleicht kennt der eine oder andere das noch. Gendarm Pingler kam aber bald von hier weg.
Dat sind zwar aul Boahnen, awer man freut sich gian an aul opgewärmde Boahnen on wenn eck van früher verteil, dann eß dat, öm te löchten en dat, wat gewes eß on te wiesen op dat, wat kommen mot. On wenn gönt Jonges ut de Kreg märr trück sind, mödden chönt wärr neu opbauen. Dann mott auk de Tornverein wärr neu bläuhen, wassen on gedeihen, vergetend dobie awer et Tornen ne!Das sind zwar alte Geschichten, aber man freut sich gerne an alten aufgewärmten Bohnen und wenn ich euch von früher erzähle, dann ist das, um auf das zu leuchten, was gewesen ist und auf das zu weisen, was kommen mag. Und wenn ihr Jungs aus dem Krieg wieder zurück sind, müsst ihr wieder neu beginnen. Dann muss auch der Turnverein wieder neu blühen, wachsen und gedeihen, vergesst dabei aber das Turnen nicht!
En aulen TornerEin alter Turner

aus: „Nau! Gruß Kettwigs an seine Soldaten“, Ausgabe 8 von Weihnachten 1944, herausgegeben von der Kreisleitung Niederberg der NSDAP, erschienen im Verlag von Friedrich Flothmann zu Kettwig

Originaltext in Kettwiger Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Heinz-Herbert Münker, überarbeitet von Marc Real

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