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Dä Tuunköönich

Dä Tuunköönich

Der Zaunkönig


Aus Saarn stammt das Märchen vom Zaunkönig, der ohne Furcht sein Nest vor einem Räuber behauptet.

Der Originaltext ist im Jahre 1913 von Wilhelm Wisser (1843–1935) veröffentlicht worden. Dabei handelt es sich um ein Märchen in niederdeutscher Sprache. „De Tunkrüper“, wie er im Original heißt, dient dem Projekt „Lowlands-L“ als Grundlage für seine sprachvergleichende Sammlung.

Das Projekt „Lowlands-L“ begann anlässlich seines 10. Geburtstags im Jahre 2005 damit, den Text des Märchens „De Tunkrüper“ – Der Zaunkönig – in möglichst vielen germanischen Sprachen zu sammeln, darunter Englisch, Niederdeutsch und Limburgisch.

Durch Vermittlung von Herrn Franz Firla aus Mülheim an der Ruhr wurde auch ein Text in Saarner Mundart beigetragen. Verfasst und eingesprochen wurde diese Fassung von Willi Beekes (1924-2013). Willi Beekes galt als einer der besten Ssaansch-Sprecher seiner Generation und hat auch viele eigene Texte hinterlassen.

Damit Sie diese Geschichte bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.

Dieses Gedicht können Sie sich auch im Originalton von Willi Beekes anhören. Diese Aufnahme wurde im Jahr 2011 eingesprochen und von Herrn Franz Firla zur Verfügung gestellt. Für die freundliche Unterstützung des Projekts möchte ich mich herzlich bedanken!

Dä Tuunköönich

Dä Tuunköönich hadd ssin Nees em Waagesschoppe chehadd. E­imol woare bitz de Äules utcheflooge’. Se’ hadde Mögge un Wörmkes hole wille, öm öahr Pööste te fuure, un’ se’ leete die Kle-ine chanz alle-in.Der Zaunkönig hatte sein Nest im Wagenschuppen. Einmal waren die Alten beide ausgeflogen. Sie hatten Mücken und Würmer holen wollen, um ihre Jungen zu füttern, und sie ließen die Kleinen ganz allein.
’N Wiel lääter koam dä Aule wier he-im. „Watt öss hie vöarchefalle?“ frooch’e. „Wän heet önk ssoa lie-e loote, Ke-iner? Chödd ssind jo chanz doneewe!“Eine Weile später kam der Vater wieder heim. „Was ist hier geschehen?” fragte er. „Wer hat euch so liegen lassen, Kinder? Ihr seid ja ganz verschüchtert!“
„Ach, Vaader“, ssaachden’ se’, „hie koam eewes ’n chroate schwatte Röiber vöarbe-i. Dä ssoach ssoa cheeftig un schlimm ut! He stierden mit ssin chroate Ouges en uss Nees ’erin. Dovöar häwwe we-i uss ssoa ene-incheschreck!“„Ach, Vater,“ sagten sie, „hier kam eben ein großer schwarzer Räuber vorbei. Der sah so böse und schrecklich aus! Er glotzte mit seinen großen Augen in unser Nest herein. Davor haben wir uns so erschrocken!“
„Ssoa“, ssaach dän Aule, “wo öss’e dann chebleewe?“ „Nou”, ssaachde’ se’ , „he öss do vöarbe-i chechange.“„Also,“ sagte der Alte, „Wo ist er denn geblieben?“ „Nun,“ sagten sie, „er ist dort entlang gegangen.“
„Waachtend!“ ssaach dä Aule. „Däm will ick nohfleege. Cheewend Rauh, Ke-iner. Dän will ick me’ vöarnehme.“ Domit ielden he draachterhehr.„Wartet!“ sagte der Alte, „Dem will ich nachfliegen. Beruhigt euch, Kinder! Den will ich mir vornehmen.“ Damit eilte er hinterher.
Ees’e öm de Eck koam, woar’t dä Wöösteköönich, dä do langes chingk.Als er um die Ecke kam, war es der Löwe, der dort entlang ging.
Dä Tuunköönich kaund ke-ine Strang. He ssadd sseech op’n Rögge van där Chroatkatte nier un fing te scheilen aan: „Watt hees’e be-i min Huus te ssööke,“ ssaach’e, „un min kle-in Pööste bang te make un tu erschrecke?!“Der Zaunkönig kannte keine Furcht. Er setzte sich auf den Rücken des Löwen nieder und fing zu schelten an. „Was hast du bei meinem Haus zu suchen,“ sagt er, „und meinen kleinen Kindern Angst zu machen und zu erschrecken?!“
Dä Wöösteköönich kümmerden sseech chanee dröm un chingk ssinne Wääch.Der Löwe kümmerte sich gar nicht darum und ging seinen Weg.
Do schauld’t noch cheme-iner un hädder, datt frääch Käälsche. „Charnix hees’e do verloore, ssääch ick de-i! Un kömp’ se’ wier,“ ssaach’e, „dann ssall’ se’ watt erleewe! Ick will’t e-igentlich nee doon,“ ssaach’e un böarden tulääs ’n Be-insche hoach, „ssös wööd ick de-i dän Rögge kapod zertraae!“Da schimpfte es noch ärger und lauter, das freche Kerlchen. „Gar nichts hast du dort verloren, sage ich dir! Und kommst du wieder,“ sagte er, „dann sollst du etwas erleben! Ich mag es eigentlich nicht tun,“ sagte er und hob zuletzt eines seiner Beinchen an, „doch ich könnte deinen Rücken zertreten!“
Donoh flooch’e wier tu ssin Nees retuur. „Ssoa, Ke-iner,“ ssaach’e, „däm häww ick’t utchedreewe. Dä kömp nee wier.“Daraufhin flog er wieder zu seinem Nest zurück. „So, Kinder,“ sagte er, „dem habe ich eine Lektion erteilt. Der kommt nicht wieder.“

Original aus: „Plattdeutsche Volksmärchen“ von Wilhelm Wisser, erschienen 1913 im Verlag der Fehrs-Gilde zu Hamburg, Seite 122, Übertragung in Saarner Mundart von Willi Beekes, zuerst veröffentlicht unter lowlands-l.net (Kleverländisch, Mülheim an der Ruhr, Saarn) im Jahre 2011

Originaltext in Saarner Mundart von Willi Beekes

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