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Vertälsches

Vertälsches

Anekdoten


Aus Elberfeld stammt diese Sammlung kurzer, unterhaltsamer Anekdoten, kurz „Vertälsches“.

Im Jahre 1822 wurde diese Sammlung durch den aus dem sächsischen Lauchstädt stammenden Philologen Johann Gottlied Radlof in das Werk „Mustersaal aller teutschen Mundarten“ als Beispiel der Elberfelder Mundart aufgenommen.

Damit Sie alle Texte bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.

Vertälsches

Ä Pastor genk över ä Feild

Ä Pastor genk över ä Feild, wo en Bur am bouen wor. „Herr Pastor,“ rep de Bur, „wat hev i am sondag vör en gode Predigt gehaulen!“ „Wevon hev ek dann gepredigt?“ seit de Pastor. „Ja, Herr Pastor, wenn ek dat wösten, so möt ek hie den Plog nit haulen.“Ein Pastor ging über ein Feld, auf dem ein Bauer pflügte. „Herr Pastor,“ rief der Bauer, „was haben Sie am Sonntag für eine gute Predigt gehalten!“ „Wovon habe ich denn gepredigt?“ sagte der Pastor. „Ja, Herr Pastor, wenn ich das wüsste, so müsste ich hier den Pflug nicht halten.“

En Schwelm es et de Gebruk

En Schwelm es et de Gebruk, dat am tweden Osterdag de Pastor dorch die Kerkke, Bank vör Bank geht, on de Lüt över die Predigt frogt. So trof et sick dat wie en Bur en die Kerke gon wohl, em twei Schleiters begenden on em sin Kalv afhangeln wolen; de Pastor geng em doröver vörbi, on horten dat. „In Schwelm ist es der Brauch, dass am zweiten Ostertag der Pastor Bank für Bank durch die Kirche geht, und die Leute zur Predigt fragt. So traf es sich, als ein Bauer zur Kirche gehen wollte, ihm zwei Schlachter begegneten und ihm sein Kalb ablocken wollten; der Pastor ging an ihnen vorbei und hörte das.
We nu de Pastor die Predigt gehaulen hat, wovon de Text över die twey Jonger die no Emaus gengen, wor, genk he dörch die Kerke on frogten die Gemeinsgleder. So kom he ok an de Bur on frogten em: „Wat woren dat vör twey? De Bur verbisterden bi dös Frog, denn he meinden, de Pastor wöl en över sinen Hangel optreken. „O, Her Pastor, dat well ek em seyen, sie wolen mek min Kalv afhangeln, ek hev sie över no der Kerke bestelt.“Als nun der Pastor die Predigt gehalten hat, deren Text über die zwei Jünger, die zu Emmaus gingen, war, ging er durch die Kirche und fragte die Gemeindemitglieder. So kam er auch zum Bauern und fragte ihn: „Was waren das für zwei?“ Der Bauer war über diese Frage bestürzt, denn er meinte, dass ihn der Pastor wohl wegen seines Handels vorführen wollte. „O, Herr Pastor, das will ich Ihnen sagen, sie wollten mir mein Kalb abschwatzen, da habe ich sie rüber zur Kirche bestellt.“

Enn aul Frau

Enn aul Frau, die en enigen Dagen nit geschlopen het, let der Pastor ropen. „Her Pastor, seit si to em, ek konn molz, wenn ih des Nomeddags predigdet, so sellkens enongern, jetzt hev eck wal en drey Dagen nit schlopen können, wel i dann wal so got sin, on predigen mek he wa vör.“Eine alte Frau, die schon einige Tage nicht geschlafen hat, ließ den Pastor rufen. „Herr Pastor,“ sagte sie zu ihm, „ich konnte damals, als Sie nachmittags gepredigt haben, so herrlich einschlafen, jetzt habe ich schon seit drei Tagen nicht schlafen können, würden Sie wohl so gut sein, und predigten mir hier was vor?“

En Wif fan enem Newiser Bur

Et Wif fan enem Newiser Bur kom des Neits en de Krom, on dat Kenk schen so elendig, dat die Hevelsche glauten et levten nit lang mer. „Frau,“ seit de Bur, „dat möten vi nötdöpen: sost sterft es noch ohne Dope ab.“ De Bur nom drop en Waterbeken, döpten et, on seiten „em Namen Gott des Faders on des heiligen Gestes, Amen.“ Die Frau eines Bauern aus Neviges kam des Nachts ins Bett, und das Kind schrie so elendig, dass die Hebammen glaubten, dass es nicht mehr lange leben würde. „Frau,“ sagte der Bauer, „das müssen wir nottaufen, sonst stirbt es noch ohne Taufe weg.“ Der Bauer nahm daraufhin ein Wasserbecken, taufte es, und sagte: „Im Namen Gott des Vaters und des heiligen Geistes, Amen.“
Weder Erwaden kamm dat Kenk weder bi. ,,Mann,“ seit jetzt die Frau, ,,de Pastor sall wal jetz mehnen, vi hedden en öm di Döpgebühr brengen wellen, vi möten dat weder got maken, on do vi em so lang niks gegefen hand, so nöm us fettste Kalv on breng em dat, dann wet he et geweß so genau met us nit nehmen.“Wider Erwarten kam das Kind wieder zu sich. „Mann,“ sagte die Frau, „der Pastor wird wohl jetzt glauben, wir hätten ihn um die Taufgebühr bringen wollen, das müssen wir wieder gutmachen und da wir ihm so lange nichts mehr gegeben haben, so nimm unser dickstes Kalb und bring ihm dass, dann wird er es gewiss nicht so genau mit uns nehmen.“
Dem Bur wor dat reit. He nom dat Kalv on gov et sinen äulsten Son am Streck. He selvst trock sinen Bruschems Rock an, ou genk met grovitätischen Schridden tom Pastor vör.Dem Bauern war das recht. Er nahm das Kalb und gab es einem ältesten Sohn am Strick. Er selbst zog seinen Bräutigamsanzug an und ging mit würdevollen Schritten zum Pastor hin.
He vertauld em die ganze Geschechte. „Wie hev ih dann dat Kenk gedöpt?“ seit de Pastor. „Eck döpden et, em Nomen Gott des Faders on des heiligen Gestes, Amen.“ ,,Wo hev ih dann denn Son (nemlich Gott der Sohn) geloten?“ „Ja, Her Pastor, de kömmt do hengen on het för em en Kalv am Seil.“Er erzählte ihm die ganze Geschichte. „Wie haben Sie denn das Kind getauft?“ sagte der Pastor. „Ich taufte es, im Namen Gott des Vaters und des heiligen Geistes, Amen.“ „Wo haben Sie denn den Sohn (nämlich Gott den Sohn) gelassen?“ „Ja, Herr Pastor, der kommt doch da hinten und hat für Sie ein Kalb am Seil.“

aus: „Mustersaal aller teutschen Mundarten, enthaltend Gedichte, prosaische Aufsätze und kleine Lustspiele in den verschiedenen Mundarten aufgesetzt; und mit kurzen Erläuterungen versehen“ von Johann Gottlieb Radlof, Zweiter Band, erschienen 1822 im Verlag von Heinrich Büschler zu Bonn, Seiten 198 bis 200

Originaltext in Elberfelder Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Marc Real

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