Ich bin ein Bauersmann schlecht und recht
Aus Neviges stammt dieses Gedicht über das Selbstverständnis eines Bauern. Darin drückt das lyrische Ich eine heimatverbundene und gottesfürchtige Geisteshaltung aus, die es nicht am eigenen Platz im Leben zweifeln lässt.
Im Jahre 1854 wurde dieses Gedicht vom Kölner Sprachforscher Johann Matthias Firmenich-Richartz als Beispiel für die in Neviges gesprochene Mundart in die umfangreiche Sammlung deutscher Dialekte „Germaniens Völkerstimmen“ aufgenommen.
Damit Sie dieses Gedicht bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.
Ech sin ’nen Burschmann schläit on räit
Ech sin ’nen Burschmann schläit on räit, | Ich bin ein Bauersmann schlecht und recht, |
Tracht nit no gruaten Dengen; | Trachte nicht nach großen Dingen; |
Doch hett mech Goddes Gnod bedäit, | Doch hat mich Gottes Gnade bedacht, |
Dröm kann ech früälich sengen, | Darum kann ich fröhlich singen, |
Suä guad, äs wann ech drüeg en Kruan, | So gut, als wenn ich eine Krone trüge, |
Ech donn et suä en minnem Tuan! | Ich tu es so in meinem Turm. |
Et es doch itel Eifault mär, | Es ist doch eitle Einfalt bloß, |
Suä huoch herop te strewen, | So hoch hinauf zu streben, |
On wör ech auch ’nä gruaten Herr, | Und wäre ich auch ein großer Herr, |
Ech wöt nit fruaer lewen, | Ich würde nicht froher leben, |
Äs wie ech’t donn en minnem Stang, | Wie ich es tu‘ in meinem Stand, |
De es räit frei va Siälen-Twang. | Der ist recht frei von Seelenzwang. |
De Köpp on Hüser gruater Lüt | Die Köpfe und Häuser großer Leute |
Send voll van itle Sorgen, | Sind einzig voll von Sorgen, |
De Gruasmued es et, die se brüt, | Der Großmut ist es, der sie brütet, |
Vam Owend bös tom Morgen; | Vom Abend bis zum Morgen; |
Van bonkten Klöngeln, Kost on Drank | Von bunten Lappen, Kost und Trank, |
Klenkt er Gebäd on erren Sank. | Klingt ihr Gebet und auch ihr Sang. |
Met ennen tuscht’n ech nömmermiä, | Mit ihnen tauschte ich nie, |
G’röst schlop ech bös tom Morgen, | Seelenruhig schlafe ich bis zum Morgen, |
För Soot, för Hus on Hoff on Viä | Für Saat, für Haus und Hof und Vieh |
Lot Goddes Gnod ech sorgen; | Lass Gottes Gnade ich sorgen; |
Han ech bei Dag min Sak gedonn, | Hab‘ ich bei Tag meine Sache getan, |
Kann röig ech Owes schlopen gonn. | Kann ruhig ich abends schlafen gehen. |
De Raukschwalf en dem Üllenlok, | Die Rauchschwalbe in dem Eulenloch |
Ech en der Kaamer, sengen | [Und] ich in der Stube singen |
Et iäscht tes Morges, on da stock | Als erste am Morgen, und da stocher |
Ech dorch et ganze Dengen | Ich durch das ganze Ding [Anm. den Hof] |
On weck min Lüt all ut dem Nest, | Und wecke meine Leute alle aus dem Nest, |
Wa kaum der Hahn kräit op der Mest. | Wenn kaum der Hahn kräht auf dem Mist. |
De Mormets-Puas hett Gold em Mong, | Die Frühstückspause hat Gold im Mund, |
Do sengen alle Vüegel, | Da singen alle Vögel, |
Der Liävleng hett de beste Long | Die Lerche hat die beste Lunge |
Van allem Sankgeflüegel, | Von allem Singgeflügel, |
De pladert räit met Lov on Dank | Die flattert so wahr mit Lob und Dank |
Nom Hemmel op för Spies on Drank. | Zum Himmel hinauf für Speis und Trank. |
Dem Goddesvuegel kiek ech döck | Dem Schmetterling schau ich oft |
No bös nom bloen Hemmel, | Nach, bis zum blauen Himmel, |
Dann denk ech: wör din Hatt so flöck, | Dann denke ich: Wäre dein Herz so schnell, |
Sech auch vam Adgetömmel | Sich auch vom Erdengetümmel |
Te rieten los met Früälichkeit, | Loszureißen mit Fröhlichkeit, |
Ech wäd benaut, min Aug wäd feut. | Mir wird benommen, mein Auge wird feucht. |
On schleit et acht nu op der Klock, | Und schlägt es acht nun auf der Uhr, |
Da tütt et Hon sös lieflich | Da gackert das Huhn ganz lieblich |
Nom Kuoken on der Scheimersbrock, | Nach dem Kuchen und der Biersuppe, |
Do geit et sös bedrieflich | Da geht es recht betrüblich |
Am Brettspell, wiel der Magen schript, | Am Brettspiel, weil der Magen knirscht, |
Äs’m Nest et jonge Möschken pipt. | Als im Nest das junge Spätzchen pfeift. |
Wa wier et Mormet op dann hant, | Wenn wir das Frühstück auf dann haben, |
Fresch et Sef gegriepen, | Entschlossen das Sieb gegriffen, |
Suä geit et dann nom aulen Trant, | So geht es dann nach altem Trott, |
Ä Stöck dertau gepiepen, | Ein Stück dazu gepfiffen, |
Wiel, wann de troge Gapmul sumt, | Denn, wenn das träge Gähnmaul summt, |
Dem fruaen Muot de Arbeit rumt. | Dem frohen Mut die Arbeit gelingt. |
Doch kikt de Sonn dann huoch heraf, | Doch schaut die Sonne dann [von] oben herab, |
Sipt dorch de Sack de Botter, | Trieft durch den Sack die Butter, |
Da spannt der Enk so gän sös af, | Da spannt der Beiknecht so gerne doch ab, |
On säit tom Wallack: hodder! | Und sagt zum Wallach: arbeite nur! |
Da led he no dem Stall en tau | Da leitet er zu dem Stall ihn hin |
On schmit sech newen ’n op de Strau. | Und schmeißt sich neben ihn auf das Stroh. |
Enonger kömmt dem Burschmann tau, | Mittagsschlaf kommt dem Bauern zu, |
De stärkt de schlappe Glieder, | Das stärkt die schlappen Glieder, |
On no der kotten Meddagsrau | Und nach der kurzen Mittagsruhe |
Schmakt auch et Ommet wieder, | Schmeckt auch das Abendessen wieder, |
Get fosche Melk, dikke Buanen, Speck | Etwas frische Milch, dicke Bohnen, Speck |
Göt miä Kraft äs so süet Geleck. | Gibt mehr Kraft als so süßes Geleck. |
Ä Krüksken Scheimer an der Hangd, | Ein Krüglein Most in der Hand, |
Nom Banden, Fäil on Gaden | Auf Wiese, Feld und Garten |
Nu fresch domet, em Sonnenbrangd | Nun frisch damit, in der Sonnenhitze |
Kann sonnen Dronk nit schaden; | Kann so ein Trunk nicht schaden; |
Bös dat de Sonn da schlopen geit, | Bis dass die Sonne dann schlafen geht, |
Wäd da geheut, gebaut, gemäit. | Wird dort geheut, geernet, gemäht. |
On es men dann räit trog on müed, | Und ist mann dann sehr träge und müde, |
Dann denkt men frua an’t Liegen, | Dann denkt man froh ans Liegen, |
Doch schmakt noch iä et Näimet süet, | Doch schmeckt noch erst das Nachtmahl süß, |
On dann herop gestiegen | Und dann hinaufgestiegen |
Den häulten Berg, da schmakt de Rau! | [Auf] den hölzernen Berg [Anm. die Treppe], da schmeckt die Ruhe! |
Bim Bäden gont de Augen tau. | Beim Beten gehen die Augen zu. |
Mon geit et wieder suä äs hüt, | Morgen geht es wieder so wie heute, |
De Arbeit es us Lewen; | Die Arbeit ist unser Keben; |
Doch hett Godd för de Burelüt | Doch hat Gott für die Bauersleute |
De Sonndag auch gegewen, | Denn Sonntag auch gegeben, |
Me’m freschen Rock on fruaen Senn | Mit frischem Kleid und frohem Sinn |
Gont wier dann no der Kerken hen. | Gehen wir dann zu der Kirche hin. |
Wie frua sin ech en minnem Stang, | Wie froh bin ich in meinem Stand, |
Godd kaun’t nit besser maken met mier. | Gott könnte es nicht besser machen mit mir. |
Kei Weder makt mech bang, | Kein Wetter macht mir Angst, |
Diämüedig hüär ech’t kraken | Demütig höre ich es krachen |
On denk: Godd, de do wederlött, | Und denke: Gott, der da wetterleuchtet, |
Es’t auch, de us en Gnod behöd! | Ist es auch, der uns in Gnade behütet. |
aus: „Germaniens Völkerstimmen, Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern“ von Johannes Matthias Firmenich-Richartz, Erster Band, erschienen 1854 in der Schlesinger’schen Buch- und Musikhandlung zu Berlin, Seiten 417 bis 418
Originaltext in Nevigeser Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Marc Real