bergischplatt.de - Die Sprachwelt an Rhein, Ruhr und Wupper

E Stückske va Möllem an der Ruhren

E Stückske va Möllem an der Ruhren

Ein Stück aus Mülheim an der Ruhr


Aus Mülheim an der Ruhr stammt dieses Gedicht. Es beschreibt den Empfang der napoleonischen Truppen im Jahre 1813. Gerade unter massiven Verlusten aus dem winterlichen Russland zurückgekehrt, erwartet sie der Groll der Mülheimer Bevölkerung nach der langen Besatzungszeit. Entsprechend schlecht werden die Franzosen hier dargestellt. Der Inhalt ist im historischen Zusammenhang zu sehen.

Im Jahre 1854 wurde dieses Gedicht vom Kölner Sprachforscher Johann Matthias Firmenich-Richartz als Beispiel für die in Mülheim an der Ruhr gesprochene Mundart in die umfangreiche Sammlung deutscher Dialekte „Germaniens Völkerstimmen“ aufgenommen.

Damit Sie dieses Gedicht bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung.

E Stückske va Möllem an der Ruhren

Va möllemsche Wies woste gän es wat weiten?
Eck sall je vertellen ei möllemsch Stück?
Eck sie jo va Möllem! Dat kaste geneiten,
Wach evel noch innige Ougenblick!
Nou sin eck parad, un nou paß es gout op!
Von Mülheimer Art willst du gern etwas wissen?
Ich soll dir erzählen von Mülheimer Sitte?
Ich komme aus Mülheim! Das kannst du genießen,
doch warte noch einige Augenblicke.
Jetzt bin ich bereit, und pass nun gut auf!
Äs drötteen de Franze va Rußlaund gekummen,
Do hadde s‘et ümmer noch hoach in de Kopp;
Do sind er ouk wat hie no Möllem gekummen
Un woulen de Herre wier sien äs vör Tieen.
Als dreizehn die Franzosen aus Russland gekommen,
Da trugen sie immer noch hoch ihren Kopf,
Da sind sie auch hierher, nach Mülheim gekommen,
Und wollten die Herren sein, wie in alter Zeit.
Se reipen un deaden, äs wä we ne wöüßten,
Dat sei van de Russe wat hadde gelieen,
Äs wä we se ouk ne near bänge kößten.
Sie riefen und taten, als ob wir nicht wüssten,
Dass aus Russland sie trugen ein schweres Leid,
Als wenn wir sie nicht auch noch bändigen könnten.
De Utdreges evel verstounen dat net,
Se schmeten de Bergen un noamen de Hacken, un koame gegangen und sungen e Led,
Se schlugen de Franzen es döchteg de Nacken;
De kaunen net möllemsche Sitten un Wies
Un lepen mit eins sche van hie no Paris.
Ihre Träger aber verstanden das nicht,
Sie warfen die Krüge und nahmen die Hacken,
und kamen zusammen und sangen ein Lied,
und schlugen den Franzosen gar kräftig die Nacken.
Sie kannten nicht Mülheimer Sitten und Weise,
und liefen, ich sag dir, von hier durch bis Paris.
Merr överall, wu se merr doar sind getrocken,
Vertaule se möllemsche Stückskes un Brocken, Un logen de Lüt de Gesichter herin.
Doch überall dort, wohin sie auch zogen,
Erzählten sie Mülheimer Stücke und Brocken,
Und logen den Leuten hinein ins Gesicht.
Äs wöare we Töufels mit Töufelsgesichter,
Mit groate Gefreter un doch noch merr Wichter.
Dat sei do van uns hevve Waumes gekregen,
Dat hevve se nömmes gesach, un verschwegen.
Als wären wir Teufel mit Teufelsgesichtern,
Mit großen Mäulern, ja solche Geschichten.
Doch dass sie hier waren, um Schläge zu kriegen,
Das sagten sie niemand und haben‘s verschwiegen.
Nou glöüv me doch noch dat Franzoasenpack,
Äs wunden e Möllem merr Hackemack;
Doch glöuw dou et mei merr, of lot et geweden,
De Möllemsche sind sche de Tröüsten op Eden.
E Wot ös e Wot und en Mann ös en Mann,
Wat eimohl versproken, do wick me ne van,
Die Openheit ziert se äs Königs de Kronen,
Un hölprike Haund den Arme gedohnen.
Nun glaube mir einer diesen Franzosen,
Als wohnte zu Mülheim nur übles Gesindel.
Doch glaub du mir besser, und lass es dich wissen,
Die Mülheimer sind dir die Treusten auf Erden.
Ein Wort ist ein Wort und ein Mann ist ein Mann,
Was einmal versprochen, davon weichen wir nicht,
Die Offenheit ziert sie wie Könige die Kronen,
Und mit helfender Hand den Armen zu dienen.
Merr kömmp denn en Donnerkiel ouk all dertüschen,
So ös dat wahl schlimm, doch kamme‘t utwischen,
Un aal de va Möllem verschreen wahl het;
Merr wahr je, un bliev bei de Eihr un et Rech,
Sös, glöuv merr, et geit sche noch schlechter äs schlech!
Ouk segg me merr net, dat de König net doug,Denn he ös e Möllem den Appel im Oug.
Aber kommt einmal ein scharfes Beil dazwischen,
so schlimm es auch ist, man kann es bezwingen,
Denn selten ist alles so schlimm, wie man sagt,
Auch das, was so Schlimmes von Mülheim man klagt,
Doch weh dir! Und bleib treu bei Ehre und Recht,
sonst, glaub mir, es geht dir sonst schlechter als schlecht!
Auch sagt man hier nicht, dass der König nichts tauge,
denn ihm ist unser Mülheim der Apfel im Auge.
Sös kumm merr no Möllem und wuhn dou merr drin,
Gewiß wet et siene rech no dinnem Sinn,
Et ös merr ei Möllem äs ditt in der Welt,
Wen drin ös, den bliev drin, wenn‘t öm merr gefällt.
Sonst komm auch nach Mülheim und ziehe hierhin,
Gewiss wird‘s dir recht sein nach deinem Sinn,
Es ist nur ein Mülheim wie dies auf der Welt,
wer drin ist, der bleibt drin, weil es ihm gefällt.

aus: „Germaniens Völkerstimmen, Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern“ von Johannes Matthias Firmenich-Richartz, Erster Band, erschienen 1854 in der Schlesinger’schen Buch- und Musikhandlung zu Berlin, Seite 413

Originaltext in Mülheimer Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Marc Real

Related Posts