Der Wolf
Aus Kettwig stammt diese Fabel vom Bauer und dem Wolf.
Im Jahre 1854 wurde sie vom Kölner Sprachforscher Johann Matthias Firmenich-Richartz als Beispiel für die in Kettwig gesprochene Mundart in die umfangreiche Sammlung deutscher Dialekte „Germaniens Völkerstimmen“ aufgenommen.
Damit Sie diese Fabel bestmöglich verstehen können, finden Sie rechts neben dem Text in Mundart die hochdeutsche Übertragung. Firmenich hat lange Vokale zudem nicht mit einem Dehnungsstrich angezeigt, sondern verdoppelt („o-“ -> „oo“). Zur besseren Lesbarkeit wurden die im Original verwendeten Apostrophen durch entsprechende Vokale ersetzt („d’m“ -> „dem“).
De Wolf
En Bur hatt en Wolf gefangen. Äs he en nu doatschloon waul, goaf de Wolf öm so völl godd Wöat, he säul öm doch et Lewen förr detmool looten, he wäul öm auk nedd märr schaaen. | Ein Bauer hatte einen Wolf gefangen. Als er ihn nun totschlagen wollte, gab der Wolf ihm so viele gute Worte, er solle ihm doch das Leben für dieses Mal lassen, er wolle ihm auch nicht mehr schaden. |
„Dat säul di waal gefallen, Manneken“, sach dem Bur, „awer do kömmt nicks van, eck well di lewer de Kopp enein schloon. Wenn eck di loß loot, dann territz du mi doch min Schööp, on do well eck di e Stöckske förr steken. Sonn Beterong, äs du se föarhes, kann mi nicks nötzen.“ „O lewer Hemmel“, sach de Wolf, „eck din Schööp territen? Süch, eck versprek di, gar kei Fleisch märr te freeten, Krüder well eck mi söken on Wotteln käuen. On wann eck es argen Honger op Fleisch häbb, dann well eck mi en Fesch fangen.“ | „Das hättest du wohl gerne, du Schlitzohr“, sagte der Bauer, „aber da habe ich nichts von, ich sollte dir lieber den Kopf einschlagen. Wenn ich dich freilasse, dann zerreist du mir doch meine Schafe, und da will ich dir einen Riegel vorschieben. So eine Besserung, wie du sie vorhast, kann mir nichts nützen.“ „O lieber Himmel“, sagte der Wolf, „ich deine Schafe zerreißen? Schau, ich verspreche dir, gar kein Fleisch mehr zu fressen, Kräuter will ich mir suchen und Wurzeln kauen. Und wenn ich einmal schlimmen Hunger auf Fleisch habe, dann will ich mir einen Fisch fangen.“ |
Dem Bur leet sich bekallen, on leet en op det Verspreeke laupen. Nu geng de Wolf widder, on woar froa, dat he sso gneadig dervan gekomme woar. Op eimol soach he e Värke vam Bur, dat sich am Hoff en en Dräckpoat lößtig mackten. „Ha“, reep he, „dat eß wat Goddes, dat well eck mi te Herzen nehmen.“ | Der Bauer ließ sich beschwatzen und ließ ihn auf dieses Versprechen laufen. Nun ging der Wolf wieder und war froh, dass er so gnädig davongekommen war. Auf einmal sah er ein Ferkel vom Bauer, das sich auf dem Hof in einer Pfütze voller Matsch amüsierte. „Ha“, rief er, „das ist eine gute Sache, die will ich mir zu Herzen nehmen.“ |
„En däm Dräckpoat eß Water, on dat Dier do en eß e Waterdier, on e Waterdier eß en Fesch, on en Fesch darf eck freeten, dat häbb eck mi jo föarbehaulen.“ | „Im Matsch ist Wasser und das Tier darin ist ein Wassertier und ein Wassertier ist ein Fisch und einen Fisch darf ich fressen, das habe ich mir ja vorbehalten.“ |
He mi auk nedd ful, mir nicks, dir nicks, dröwer heer, on gefreeten, dat öm de Muul schümden. Sso heel de Wolf ssi Verspreekn. | Er zögerte nicht lange und fiel, mir nichts, dir nichts, drüber her und und fraß, bis ihm das Maul schäumte. So hielt der Wolf sein Versprechen. |
Wöar dem Bur nu sso klook gewees, on hätt dem Wolf den Heatkasten einein geschlagen, dann hätt he auk ssi Värken behaulen. | Wäre der Bauer nun so klug gewesen und hätte dem Wolf den Hirnkasten eingeschlagen, dann hätte er auch sein Ferkel behalten. |
aus: „Germaniens Völkerstimmen, Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern“ von Johannes Matthias Firmenich-Richartz, Erster Band, erschienen 1854 in der Schlesinger’schen Buch- und Musikhandlung zu Berlin, Seite 414
Originaltext in Kettwiger Mundart, übertragen ins Hochdeutsche von Marc Real