Heute, am 28. Januar, jährt sich der Todestag von Carl Schmachtenberg zum nun 86. Mal. Der bekannteste Dichter der niederbergischen Heimat führte ein Leben zwischen den Epochen. In seine Lebenszeit fallen gleichermaßen das erste demokratische deutsche Parlament und die Gründung der ersten deutschen Republik, wie auch die Zeit des ersten Weltkrieges, deren Nachwehen zur Hitler-Diktatur führen sollten.
Dichter zwischen den Zeiten
Im Jahr der demokratischen Revolution in Deutschland ist Carl Schmachtenberg geboren worden. Am 1. November 1848 erblickt er auf dem elterlichen Gut Unterste Hugenbruch das Licht der Welt, seinerzeit in der Landgemeinde Düssel gelegen. Im Jahre 1929 wurde ihr östlicher Teil in die Stadt Elberfeld eingemeindet. Nach dem Zusammenschluss von Barmen und Elberfeld trägt die Stadt seit 1930 den Namen Wuppertal, an deren nordwestlichem Rand sich der Hof befindet. Einen großen Teil seines Lebens wird er dort inmitten der vielen politischen Umwälzungen verbringen.
Das Leben auf seinem Hof spielt in seinem Werk eine zentrale Rolle. Aus dem Alltag mit den Menschen in der Heimat nimmt er die Anregung zu vielen seiner Gedichte. Mit ihnen hat er den Niederbergischen ein historisches Denkmal gesetzt. Aus seinem Werk erfahren wir Nachgeborene über das Leben seiner Zeit, das er 84 Jahre lang erlebte. Drei Tage vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten starb Carl Schmachtenberg am 28. Januar 1933.
Erinnerung an sein Wirken
Das Andenken an sein Wirken zeigt sich auch in unserer Zeit. So haben Menschen in Wuppertal-Katernberg und der Wülfrather Innenstadt die Adresse „Schmachtenbergweg“ und in Metzkausen, einem Teil von Mettmann, begrüßt der „Carl-Schmachtenberg-Weg“ Bewohner und Besucher des Ortes. In der Bevölkerung sind seine Gedichte bekannt, auch wenn die Verbreitung seiner Muttersprache, dem herzhaften Platt, nurmehr eine Erinnerung der älteren Generation wird, aber umso liebevoller gepflegt wird. Ein Grund mehr, aus Anlass seines 86. Todestages von
seiner Art und seinem Schaffen zu berichten.
Aus Anlass seines 50. Jahresgedenkens stellte seine Großnichte, Klara Kleine-Doepke, geborene Bellwied, bedeutsame Stationen seines Lebensweges zusammen. Auf dem Voßnacken bei Langenberg, heute zu Velbert, ist sie 1908 geboren und aufgewachsen. Sie erlebte den Heimatdichter in seinen späten Jahren bis 1933. Nach dem zweiten Weltkriege zog sie im Jahre 1946 mit ihrer Familie auf seinen alten Hof. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Gutshaus als „Haus Schmachtenberg“ von der Bergischen Diakonie in Aprath bewirtschaftet und diente als Unterkunft für Flüchtlingsfamilien aus den ostdeutschen Gebieten in Ostpreußen und Schlesien und bot obdachlosen Kindern aus dem Umland Zuflucht. Sie starb dort 2012 im hohen Alter von 103 Jahren.
Bis zum heutigen Tage ist es das Anliegen ihres Sohnes, Hans-Hermann Kleine-Doepke, die Erinnerung an Carl Schmachtenberg und sein Werk auch für die Zukunft zu erhalten. Aus dem Jahre 1983 ist die Handschrift seiner Mutter erhalten. Erfahren wir nun aus der Quelle einer Zeitgenössin etwas über den bergischen Heimatdichter.
Bericht über Carl Schmachtenberg
„Als Verwandte bin ich gebeten worden, noch einmal etwas von ihm zu erzählen. Sein Geburtshaus, sein Lebensweg sind allgemein so bekannt und über ihn und seine Gedichte ist so viel berichtet worden, so dass es schwerfällt, noch etwas Neues zu bringen. Und doch scheint es mir wichtig zu sein, zunächst daran zu erinnern, dass das Geburtsjahr 1848 und das Todesjahr 1933 bedeutsame Jahre für unser Volk waren.
Schmachtenbergs Weg war vorgezeichnet, er sollte später den elterlichen Hof übernehmen. Die Schmachtenbergs bewirtschafteten im vorigen Jahrhundert manchen Bauernhof im niederbergischen Raum und auch die Familien seiner Mutter, eine geborene Schlipköter, waren als tüchtige Landwirte im Wupper- und Deilbachtal bekannt. Schmachtenberg besuchte die alte Oberdüsseler Schule und fand in seinem, von ihm sehr verehrten Lehrer Leverkus einen Förderer seiner dichterischen Anlagen.
Auf dem Hof lebte noch ein unverheirateter Bruder seiner Mutter, der sich sehr für Literatur und Geschichte interessierte. Er kaufte viele Bücher, meist antiquarisch,
so zum Beispiel Klassiker, Reisebeschreibungen, Geschichtsbücher usw. Auf diese Weise erhielt der Junge weiterhin Anregung und Wissen. Er begann schon früh, etwa 1871, nach dem Tode seines Vaters seine Erlebnisse in Verse zu fassen. Allerdings waren diese ersten Gedichte noch Hochdeutsch, denen aber bald Plattdeutsche folgten, die er bei Faßbender in Elberfeld drucken ließ. Er nannte diese kleinen Hefte „Rengelduoven“. Doch diese harte Wuppertaler Aussprache, man sagt dort eck und meck, gefiel ihm nicht, er liebte mehr das weiche melodische.
Im Verlag Julius Joost Langenberg erschien dann im Jahre 1883 der ersten Band „En Freud on Leid“. Der Inhaber des Verlages, Herr Krieger, schickte diesen Band an den Dichter Felix Dahn und erhielt von diesem folgende Beurteilung:
„Die Mundart der Gedichte ist mir nicht ganz leicht zu bewältigen, dies beeinträchtigt nun einigermaßen den Genuss und erschwert auch mein Urteil. Doch so viel darf ich mir zu sagen erlauben, dass hier ohne jeden Zweifel ein echtes, frisches, erfreuliches Talente sich kund gibt, dass jede Förderung verdient.
Mit wiederholtem Dank, Verehrungsvoll
Felix Dahn“ (01.04.1884)
Dass seine Gedichte weiterhin bekannt wurden, zeigen auch seine Einladungen zu Vorträgen; bereits 1894 lud ihn der Düsseldorfer Bildungsverein aus Anlass des vierhundertjährigen Geburtstags von Hans Sachs ein, bei einer Feier im Rittersaal der Düsseldorfer Tonhalle auch einige seiner Gedichte vorzutragen. Sie fanden großen Anklang und in den Düsseldorfer Nachrichten vom 30. Oktober 1894 wurde er als bergischer Hans Sachs bezeichnet. Ebenso berichtete die Wülfrather Zeitung von einem Volksunterhaltungsabend am 22. Februar 1894, der unter der Leitung von Herrn Bürgermeister Kirschbaum stattfand, an dem Schmachtenberg seine Gedichte vortrug.
1891 starb seine Mutter, mit der er 20 Jahre nach dem Tod seines Vaters zusammengelebt hatte. In seinen Gedichten gedenkt er ihrer oft, ein frühes Gedicht in Hochdeutsch ist nicht gedruckt.
Andenken
Still ruht dein Bild im Herzen mir
Und wird dort bleiben für und für.
Nie bleicht es durch der Jahre Reih‘n
Dein trautes Bild, lieb Mütterlein.
Denn wohl die wilde Lust der Welt
Den Sinn umrauscht, gefangen hält,
Seh ich dich vor mir ernst und still,
Weiß, was Dein Blick mir sagen will.
Wie wird mir wohl in Leid und Weh,
Wenn ich alsdann Dein Auge seh.
Du lenkst in Frieden meinen Sinn
Zum ew‘gen großen Helfer hin.
So bist Du mir noch immer nah,
Wenngleich mein Aug Dich scheiden sah;
Wirst stets in meinem Herzen sein
Solang ich leb, lieb Mütterlein.
Es ist zu vermuten, dass die innige lange Verbundenheit zu seiner Mutter mit dazu beigetragen hat, dass er trotz der vielen Bekanntschaften und Freundschaften nicht rechtzeitig zur Heirat gekommen ist. In diesem Zusammenhang ist ein Gedicht zu sehen, das wir in seinem Nachlass gefunden haben. Es heißt „In den 12 Morgen“.
In den 12 Morgen
Jüngst habe ich hohen Besuch bekommen,
Wir haben im Stübchen den Kaffee genommen
Und nach dem Kaffee, da gingen wir bald
Spazieren zum Wald, in den grünen Wald,
In den 12 Morgen.
Es waren drei junge Damen darunter,
Voll frischen Humors, mutwillig und munter.
Manch liebliches Lied, manch neckendes Wort,
Das hörte man drinnen im Walde dort,
In den 12 Morgen.
Auch wurden viel bunte Blümlein gefunden
Gar schön und geschickt zum Sträußchen gebunden,
Maiglöckchen, Flordam und Hartgras ja, ja,
Das fanden wir alles im Walde da,
In den 12 Morgen.
Zu schnell nur entflohn die fröhlichen Stunden,
Längst sind aus dem Walde die Mädchen verschwunden.
Kein Klang und kein froher Gesang erschallt,
Wie ist es so öd, so still in dem Wald,
In den 12 Morgen.
Doch heute drängt es mich, wiederzusehen
Den Wald und die Wege wieder zu gehen.
O Wunder, was finde ich dort fürwahr
Ein kleines und feines Handschuhenpaar,
In den 12 Morgen.
Nun kann es erst recht im Wald mir gefallen,
Nun träum ich daher in schattingen Hallen,
Und immer zieht‘s mich zum Walde zurück,
Wer weiß, ob ich finde nicht noch mein Glück
In den 12 Morgen?
(August 1892)
Aus einem noch vorliegenden, anschließenden Briefwechsel geht hervor, dass es sich hier nicht um eine verpasste Gelegenheit gehandelt hat, sondern um Unentschlossenheit, Zurückgezogenheit oder wie immer man es auch deuten mag.
Wenige Jahre nachdem er den elterlichen Hof bekommen hatte, unternahm er etwas, was gar nicht in seiner Art lag und das ihn auch später nicht befriedigte: Er kaufte ein bergisches Geschäftshaus, das dem Neubau des Kaufhauses Tietz am Neumarkt in Elberfeld weichen musste; er ließ es, etwas verändert, in der Nähe seines Hofes wiederaufbauen. Daraus wurde die Villa Waldsee, damals ein beliebtes Ausflugsziel der Umgegend. Noch vor dem ersten Weltkrieg schloß er die Wirtschaft, weil der immer lauter werdende Betrieb des Pächters seine Ruhe störte und er verkaufte das Haus mit angrenzenden Grundstücken an das Bergische Diakonissen-Mutterhaus.
Viele Jahre war Schmachtenberg im Kirchenvorstand in Düssel, mit großer Treue hat er dieses Amt ausgeführt. Wer die Entfernung von seinem Haus nach Düssel kennt, kann sich ausrechnen, wieviel Zeit er für diesen sonntäglichen Kirchgang zu Fuß brauchte.
Als Kirchenvertreter nahm er 1885 an einer Synodaltagung in Wülfrath teil. Später war er immer noch an den Vorgängen seiner Kirchengemeinde interessiert. So begleitete er einmal nach dem ersten Weltkrieg Pfarrer und Kirchmeister ins Gussstahlwerk nach Bochum, wo über den Kauf einer neuen Glocke verhandelt wurde.
Seine große Heimatliebe, ja noch mehr die Liebe zu den Menschen und die fast kindliche Frömmigkeit, gepaart mit dem starken Glauben an seinen Erlöser lassen uns auch oft die ernsthafte Seite seines Wesens erkennen. Dies ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass seine Gedichte auch heute, 50 Jahre nach seinem Tod, hier im niederbergischen Raum so lebendig unter uns sind.
Nach manchen Enttäuschungen, die auch er ganz gewiss erlebte, man denke nur an die Einsamkeit des Alters, wusste er, wo er Trost finden würde. Seine vielen Neujahrsgedichte sind voller Hoffnung, Freude und Zuversicht.
Mit einigen Zeilen aus dem Gedicht „Sylvester-Ovend“ möchte ich schließen:
Süch boven am Hemmel die Sternen an
Sie glänzen suo hell op der huogen Bahn
On we die geschaffen am Hemmelszelt
Es mächtig te führen die ganze Welt.“
Sieh oben am Himmel die Sterne an
Sie glänzen so hell auf der hohen Bahn
Und wer sie geschaffen am Himmelszelt
Ist mächtig zu führen die ganze Welt.
Soweit der Bericht von Klara Kleine-Doepke von 1983.
Die Zukunft der plattdeutschen Lyrik
Kaum drei Generationen nach dem Tode von Carl Schmachtenberg ist seine Muttersprache aus dem Alltag seiner Heimat nahezu verschwunden. Über Jahrhunderte war sie fester Bestandteil des täglichen Lebens der Menschen im Bergischen Land. Mit den Dichterworten seines Schaffens bleibt auch die Erinnerung lebendig an das Lebenswerk dieser vielen Menschen, die bis zu unseren Großeltern über Jahrhunderte in dieser Sprache dachten, schafften und erlebten.
Ich möchte mich herzlich bei den Eheleuten Dr. Ilse und Hans-Hermann Kleine-Doepke bedanken, die mir freundlicherweise den Zugang zu diesen zeitgeschichtlichen Dokumenten ermöglichten. Wenig ist derzeit noch im Internet zu diesem Themenbereich zu finden und somit auch der jungen Generation zugänglich. Entsprechend hat es mich gefreut, dass diese historischen Dokumente noch gepflegt und erhalten werden.
Zum Abschluss sei noch eines seiner bekanntesten Gedichte über das Plattdeutsche vorgestellt. Mit „Die plattdütsche Sprok“ lässt uns Carl Schmachtenberg in das Empfinden blicken, das er gegenüber seiner Muttersprache hegt.
Die plattdütsche Sprok
O, denk doch nit, us prächtig Platt
Wör bloß öm Spaß te maken,
Dat wör bloß vör Humor suowat,
Wör niks vör ernste Saken.
O, denk doch nit, men keun sich nit
Suo vürnehm dren bewegen.
Es wör us Plattdütsch bloß vör Lüt
Van schlichtem Denkvermögen.
Es wör us Plattdütsch nit suo zart
Em Utdrock on em Klengen,
Es hätt et nit die Konst bewahrt,
Em Lied sech opteschwengen.
Us Plattdütsch es onendlich riek,
Do es völ drut te maken.
Dat es nen Schatz, dem keiner gliek
An köstlich schüenen Saken.
Ech freu mech ömmer jedes mol,
Kenn ech den Schatz jet hewen.
Wenn ech dovan jet neues hol
Tom freschen fruohen Lewen.
On dat ech stolz dat zeigen kann,
Do well ech mech dren üewen,
Bös dat ech dech gewonnen han
Us Plattdütsch och te liewen.
O, denk doch nicht, unser prächtiges Platt
Wär‘ bloß um Spaß zu machen
Das wäre bloß für Humor gemacht,
Wär‘ nichts für ernste Sachen.
O, denk doch nicht, man kann sich nicht
Auch vornehm darin bewegen.
Als wäre unser Platt bloß für Leute
Von schlichtem Denkvermögen.
Als wäre unser Plattdeutsch nicht sehr zart
Im Ausdruck und im Klingen,
Als hätte es nicht die Kunst bewahrt,
Zum Lied sich aufzuschwingen.
Unser Plattdeutsch ist unendlich reich,
Daraus ist viel zu machen.
Das ist ein Schatz, dem nichts ist gleich
An köstlich schönen Sachen.
Ich freu‘ mich immer jedes Mal,
Kann den Schatz ein Stück ich heben.
Wenn etwas Neues ich d‘raus hole
Zum frischen frohen Leben.
Und dass ich es stolz zeigen kann,
Darin will ich mich üben,
Bis dass ich dich gewonnen hab,
Unser Plattdeutsch auch zu lieben.
Ihr Marc Real